„Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Dieser erste Satz des Romans „Der Prozess“ von Franz Kafka birgt bereits vieles, worum es im Handlungsverlauf gehen wird: Die Frage nach der vermeintlichen Schuld des Individuums, um Entfremdung und Selbstverlust genauso wie um den schweren Gang durch die Institutionen, um staatliche Macht und Willkür. Kafkas Roman, der zum Lektürekanon im Fach Deutsch für die Abiturjahrgänge 2016 und 2017 gehört, ist zunächst alles andere als dem Lesenden leicht zugänglich. Ob mit dem Einstieg in Kafkas Parabeln ein Zugang gefunden wird, ob über die verschiedenen Deutungsansätze oder direkt mit dem gemeinsamen Einlesen eine erste Annäherung gewagt wird – Kafka bleibt eine besondere Herausforderung für Lehrer wie Schüler.
Wie gut, wenn ein Zugang anderer Art das Verständnis erweitert: „Der Prozess“, ein Prosastück, auf der Bühne! Das Grillo-Theater in Essen wagte unter der Intendanz von Moritz Peters die Umsetzung des Romans und vermochte die Schülerinnen und Schüler der Leistungskurse Deutsch aus den Stufen Q1 und Q2 mit einer eindringlichen Inszenierung zu fesseln. Eine Bühne, bestehend aus ca. 30 Bodenplatten, wird symbolisch abgebaut, bis ein Stahlskelett verbleibt – Josef K. verliert sichtlich den Boden unter den Füßen. Der Prokurist erliegt schlussendlich der bürokratischen, anonym bleibenden und menschenfeindlichen „Organisation“, so dass er, den Grund seiner Verhaftung nicht erfahrend, schließlich „wie ein Hund“ erstochen wird.
In beeindruckend klaren Bildern, mit brechtschen Mitteln des epischen Theaters und begeisternden Schauspielern verfolgten wir eine überaus gelungene Darbietung des Romanstoffes. Die Fahrt nach Essen nahmen wir dafür sehr gern in Kauf – und wollen in Zukunft als Fachschaft Deutsch den Besuch von Theateraufführungen – auch „in der Fremde“ – intensivieren.