Das Plakat zeigt ein Foto mit einem gesichtslosen Anzugträger, dessen Hände von Blut getränkt sind. Es führt zwei Männernamen und deren (männliche) Rollennamen an. Dies darf verwundern, denn angekündigt wird damit die Aufführung von Johann Wolfgang von Goethes „Faust“ in der Aula des Gymnasiums im Loekamp am vergangenen Mittwoch, dem Stück, in dessen Zentrum die Gretchentragödie steht – und Gretchen scheint hiernach gar nicht vorzukommen. Gespannt auf die Inszenierung waren also sowohl die Schülerschaft der 11. Jahrgangsstufe als auch die Deutschlehrer, die das für das Zentralabitur relevante Drama ausgiebig im Unterricht behandelten.
In der Tat: Gretchen fehlt und wird in die Wunschträume und Erinnerungen Fausts verlegt. Auch der Student braucht nicht aufzutreten – wozu hat man gut 100 Schülerinnen und Schüler im Saal, an denen die Universitätssatire exerziert werden kann.
Die beiden Schauspieler vom Theater Essen-Süd Philipp Steimel als Faust und Raphael Batzik als Mephisto boten auf der Bühne des GiL eine eindringliche und höchst dynamische Therapiesitzung für den (nicht nur) durch den Tod Gretchens traumatisierten Faust, und dies, sieht man von den Kürzungen ab, ohne wesentliche Änderungen am Text Goethes vorzunehmen. So erhielten die Schülerinnen und Schüler des GiL eine lebendige Aufführung eines (für viele) trockenen Lesestoffes und die beiden Darsteller viel Beifall für ihr Bemühen, dem Stück Aktualität abzugewinnen, indem sie sich ganz auf die Macht und Ohnmacht der männlichen Hauptfiguren konzentrierten. Dennoch blieb Deutungsspielraum. Entsprechend begeistert reagierten die Schülerinnen und Schüler auf die Fragerunde, die die Essener Akteure den Zuschauern im Anschluss ermöglichten. Klar, dass ein reges Gespräch entstand – denn wann sind einem leibhaftige professionelle Schauspieler schon einmal so nahe wie in diesen zwei Schulstunden am GiL?